Madeleine
Dietz
[english/englisch]
Vor vielen
Jahren traf ich in einer kleinen Stadt in
Mitteltexas einen Farmer, der gerade vom Feld kam.
Er war vom Hut bis zu den Stiefeln
gleichmäßig mit dünnem, gelbem Staub
bedeckt - er sah aus wie ein Cowboy aus Lehm, der
irgendwie lebendig geworden war. Dann begann es zu
regnen, und der Staub auf seinen Kleidern
verwandelte sich in Schlamm. Der Farmer ging weiter
durch die Stadt und machte seine Erledigungen. Der
Schlamm, so entschied er, war natürlich, und er
trug ihn mit dem Stolz eines Mannes, der sein ganzes
Leben lang mit der Materie gearbeitet hatte, die
alle menschliche Existenz erst ermöglicht. Wenn
ich die Werke von Madeleine Dietz betrachte, kommt
mir der schlammbedeckte Farmer in den Sinn. Trotz
ihrer kulturellen und geographischen Distanz ist
Madeleine Dietz mit ihm verbunden; die Erde des
Farmers ist ihre und auch unsere. Wir alle haben auf
verschiedene Art mit der Erde zu tun, aber der
eigentliche Boden, die Scholle, ist uns fern und
gleichgültig. Sie ist von unseren Ideologien
unberührt und ernährt und trägt uns
dennoch.
In einem
Text mit dem Titel „Der ungetrübte
Geist" stellt Agnes Martin kurz und bündig
fest: „Wenn man Chaos nicht mag, ist man ein
Klassizist. Wenn man es mag, ist man ein
Romantiker." Wenn man diesen Gedanken
akzeptiert, ist man versucht, darauf zu bestehen,
daß die monolithischen Stahl- und
Erdskulpturen von Madeleine Dietz in beide
Kategorien gleichzeitig fallen. In der Tat bezieht
ihr Werk viel von seiner Kraft aus der Spannung, die
durch die Gegenüberstellung von bearbeitetem,
festem Material - Stahl - und unbearbeiteten,
strukturell instabilen Schollen aus einer
getrockneten Mischung von Erde und Wasser
entsteht.
Solche
vereinfachten Kategorisierungen sind jedoch immer
gefährlich, besonders in Bezug auf das Werk von
Madeleine Dietz. Obwohl sie ästhetisch in der
Nähe Donald Judds und anderer Minimalisten
steht, sind ihre formalen Interessen andere. Wie
Donald Judd bezieht sich auch Madeleine Dietz mit
ihren Skulpturen auf die Orte, die sie umgeben oder
enthalten, und die von ihr geschaffenen Objekte sind
selbst Umfriedungen, die ihr Thema des Schutzes und
der Erhaltung der Erde widerspiegeln.
Es mag
hilfreich für amerikanische Betrachter der
Werke von Madeleine Dietz sein, ihre ganz und gar
westliche Kunst von einer asiatischen Perspektive
aus zu untersuchen. Trotz ihrer Neigung zu Formen
aus der euklidischen Geometrie, sowie großen
Volumen und materieller Schwere, wie in „Kein
Brunnen (1998) und „Altarumbau" (1997),
gibt es bei ihr auch Tendenzen zur
Dematerialisierung, einem zentralen Thema
japanischer Kunst und Ästhetik. Die durch die
fragilen Erdschollen von Madeleine Dietz
angedeuteten Volumen mögen sich auf die
platonischen Ideen ewiger Formen und
natürlicher Gesetze beziehen, sie erinnern aber
auch an das japanische Konzept des Wabi-Sabi, eines
ästhetischen Paradigmas, das auf dem
Verständnis der Japaner basiert, daß der
größte künstlerische Genuß in
natürlichen oder „unvollkommenen"
Formen zu finden sei. Madeleine Dietz errichtet ein
empfindliches Gleichgewicht zwischen dem
Flüchtigen und dem Konkreten, zwischen Antike
und Moderne. Bei ihren kleinen Schubern könnte
man an die japanische Neigung zu komplexen
Umhüllungen denken, die Materie
umschließen, die selbst zurücktritt oder
gar nicht da ist.
In vielen
Werken von Madeleine Dietz umschließt das
Harte das Weiche oder bezieht sich darauf;
wiederkehrende architektonische Motive reiben sich
an zerbröckelnder Erde; Monumentales kollidiert
mit Bescheidenem. Bei der Betrachtung dieser Werke
denkt man an Dinge mit ähnlichen Strukturen,
wie Insekten oder auch Gebäude. Die dunklen,
einfachen Bauten der Künstlerin werden zu
Kapellen oder Gärten, in denen sich die Samen
noch nicht als Pflanzen manifestiert haben. Einen
Augenblickt später sind ihre Metallkästen
Gräber, und die Erde ist, woraus wir gekommen
sind und wozu wir wieder werden.
Madeleine
Dietz arbeitet an etwas - etwas jenseits der von ihr
abgegebenen Erklärungen zum Schutz und zur
Erhaltung der Erde. Sie definiert diesen Teil ihres
Werkes nicht, und sie sollte das auch nicht tun.
Kein Künstler sollte das. Madeleine Dietz hat
die Freude des Machens, des Fühlens, des Sehens
und Denkens, und das ist genug.
Brett Davidson,
Houston zur Ausstellung Madeleine Dietz in der
Galerie Sonja Roesch Houston, Texas 1998
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