Michael
Schwarze "Michael
Schwarze macht es dem Betrachter nicht
leicht, Zugang zu seiner Figurenwelt zu
finden. Hat man sich jedoch einmal vertraut
gemacht mit der eigenwilligen Formensprache
seiner Skulpturen, so erkennt man ihre
"Familien-zusammengehörifkeit". Es
ist eine immer wiederkehrende Leitfigur, man
könnte auch sagen ein Stammvater, der sich
hier fortzeugt kein idealer Vater,
sondern von Anfang an behaftet mit dem
Kainsmal durch die sinnbildhafte Reduktion
der menschlichen Gestalt auf jene
Gliedmaßen, die Handeln und Bewegung zum
Ausdruck bringen.
Es ist
nicht der kontemplative Mensch, sondern der
Homo Faber, der große Macher, der uns hier
vor Augen geführt wird. Fast immer tritt
anstelle des Kopfes die rechte Hand.
Bei den Frauengestalten allerdings fehlt
diese Hand oder ist durch eine Schwinge
ersetzt. Nur bei jenen Gestalten, die demTode
ins Auge schauen wie der stürzende
Ikarus oder bei dem toten Enkidu
der Beweinung ist ein Kopf
vorhanden. Paradox formuliert: nur der vom
Tode Gezeichnete wird sehend, bekommt ein
Gesicht, der handelnde Mensch ist mit
Blindheit geschlagen. Ein tragischer Aspekt
wird hier deutlich.
(.........)
Überblickt
man die in den letzten zwei Jahrzehnten
entstandenen Skulpturen, seien es nun
mythische, allegorische oder wortwörtliche
Verdichtungen, so wird ein Leitmotiv
sichtbar, das man mit Wandlung und
Verwandlung bezeichnen könnte. Dabei ist der
formale Ausgangspunkt des Künstlers stets
der seit Antike und Renaissance
vorherrschende menschlich Akt.
Das Werk
Michael Schwarzes ist heute nicht mehr
wegzudenken aus der Plastik der Gegenwart. Es
ist kein leichter Weg für ihn gewesen,
seinem künstlerischen Anspruch Geltung zu
verschaffen. Was ihm diesen Weg geebnet hat,
ist sein großes handwerkliches Können, das
heutzutage eher gering geachtet wird. Michael
Schwarze ist freilich ein suchender Künstler
geblieben, der aus der Anschauung und aus der
Imagination schöpft. Was sein Werk
auszeichnet, ist die konsequente
Weiterentwicklung einer bestimmten Bildidee,
nicht um irgendein Markenzeichen zu schaffen,
sondern weil der Ausgangspunkt, der Mensch,
ein unendliches Thema ist, dem er sich
zutiefst verbunden fühlt. Für Michael
Schwarze spannt sich ein weiter Bogen vom
Mythos bis zur Gegenwart. So könnte man ihn
durchaus einen traditionellen Bildhauer
nennen. Dies ist freilich nicht im
rückwärts gewandten Sinne zu verstehen. Was
Michael Schwarze bewegt, sind die drängenden
Probleme unserer Zeit, auf die er in seiner
provozierend zeichenhaften Weise eine Antwort
zu geben versucht. So sind seine Skulpturen
als Zeitzeichen zu verstehen. Die surreale
Verfremdung, die Verunsicherung der
Sehgewohnheiten sind keineswegs Selbstzweck,
sondern dienen dazu, Fragen zu stellen und
Denkanstöße zu vermitteln. Kein fest
umrissenes Menschenbild wird hier sichtbar,
sondern der Mensch in einer unsicheren Zeit
des Überganges, die den schmerzhaf5ten
Prozeß einer inneren Wandlung notwendig
macht. Ein Künstler, der sich diesen Fragen
stellt wie Michael Schwarze, trägt große
Verantwortung. In einer kritischen
Bestandsaufnahme unsere kulturellen Erbes,
die auch heute noch Gültigkeit hat, kommt
der Philosoh Nikolaus Lobkowitz zu dem
Schluß: Das Vermächtnis Europas
besteht deshalb im wesentlichen wohl in der
Aufforderung, nicht in der Suche nach einem
Menschenbild nachzulassen....und alles da zu
vermitteln, was wir über den Menschen
gelernt haben."
Gerd-Wolfgang
Essen, Hamburg, in: "Michael Schwarze
Skulpturen" , Teningen 1992
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